WEIHNACHTEN – neu geboren werden

Kürzlich habe ich mit einer Freundin einen adventlichen Bummel durch die Zürcher Innenstadt gemacht. In der Bahnhofstrasse sind wir auf die seit letztem Jahr installierte neue Beleuchtung gestossen. Sie besteht aus Leuchtdioden, welche ein relativ grelles Licht verbreiten. Wir sind uns einig gewesen, dass diese Beleuchtung zwar interessant ist zu beobachten mit ihren intervallmässig sich ändernden Leuchtmustern, doch einfach nicht in diese Advents- und Vorweihnachtszeit passen will.  Was uns dabei fehlte, war die warme, einlullende Stimmung, wie sie uns durch gelb scheinende Lämpchen eher verkörpert schien.

Auch in den Strassen unserer Dörfer, blinkt und leuchtet es von Hausmauern und Dächern, aus Vorgärten und Fenstern. Es ist vielleicht die Sehnsucht, die wir säkularisierten Menschen verspüren, nach einer heileren Welt, nach harmonischer Stimmung im Kreis unserer Familien, um Ängste und Sorgen vergessen zu können wie Arbeitslosigkeit, die Probleme rund um die Globalisierung und soziale Spannungen.

Die Botschaft, dass ein Kind auf die Welt kommen wird um diese heiler werden zu lassen, kann in diesem Zusammenhang von grosser Sprengkraft sein: Es ist die Umkehrung der Idee, dass nur mächtige und starke Menschen die Welt verändern können. Ein kleines Kind stellt allein durch seine Existenz die Machtverhältnisse auf dieser Welt in Frage.
Erst kürzlich hat eine andere Freundin ihr drittes Kind geboren. Dieses kleine Geschöpf, das es vorher nicht gegeben hat, zu begrüssen war etwas Wunderschönes. Das Staunen angesichts von neuem Leben hat in den Vorläuferreligionen des Christentums dazu geführt, in der Schöpfungskraft des Geburtsprozesses das Heilige schlechthin zu sehen. Ikonographische Forschungen haben ergeben, dass Darstellungen von Maria mit dem Jesuskind auf solche altorientalischer Muttergöttinnen zurück gehen. Die Botschaft von Weihnachten, dass das göttliche Heil durch eine natürliche Geburt in die Welt kommt, hat seinen Ursprung in der Entstehungsgeschichte dieses Festes. Es sollte eine theologische Aussage über die Besonderheit von Jesus dem Christus als Befreier, Heiler und Retter gemacht werden, indem er durch eine aussergewöhnliche Geburtsgeschichte als Sohn Gottes legitimiert wurde.

Neu geboren werden

Die Intimität des Geburtsgeschehens lässt auch für uns moderne Menschen etwas aufscheinen vom «Mehr» des Lebens, von einer Dimension, welche unsere Wirklichkeit sprengt und die wir in der christlichen Tradition die «transzendente, göttliche» nennen. Es verkörpert die Hoffnung auf einen Neuanfang, der auch in den Herzen von uns modernen Menschen seinen Platz hat und wachsen kann. Treffend hat es ein Dichter aus dem Barock in diese Worte gefasst:

Halt an, wo laufst du hin, der Himmel ist in dir;
Suchst du Gott anderswo, du fehlst in für und für.
(Angelus Silesius eigentlich Johann Scheffler, 1624-1677)

Es ist die Erfahrung, wie sie andere Mystikerinnen und Mystiker vor ihm immer wieder gemacht haben, dass die Schöpfungskraft in jeder / jedem Einzelnen wirken kann, dass ich Selbst die Geburtsstätte dieses Gottes sein kann; -der Ort, wo Lebensbejahendes, Hoffnungsvolles und Kreatives seinen Anfang nehmen kann zur Gestaltung einer gerechteren und menschenfreundlicheren Welt.

Einstehen für geborenes Leben

Als Geborene sind alle Menschen erst einmal Neuankömmlinge, welche mit unserer je eigenen Individualität unsere Welt beeinflussen und verändern können. Mit der Geburt einer neuen Generation und ihrem Potential an neuen Ideen für die Probleme dieser Zeit und Lösungsstrategien für die Konflikte auf dieser Welt geht auch immer die Hoffnung einher, dass diese von ihren sozialen, wirtschaftlichen, militärischen und umweltpolitischen Katastrophen befreit werden kann. In der Bibel als Sammlung von Geschichten von Menschen mit ihrem Gott, sind auch solche zu finden, die vom befreiendem Potential menschlicher Kreativität erzählen.  Eine davon ist die der beiden Hebammen Schifra und Pua:

«Der ägyptische König gab eines Tages den hebräischen Hebammen – eine hiess Schifra, die andere Pua – den Befehl,: ‹Wenn ihr den Hebräerinnen bei der Geburt beisteht, und am Geschlecht erkennt, dass es ein Junge ist, dann sollt ihr ihn töten; ist es ein Mädchen, lasst es leben.› Aber die Hebammen verehrten Gott und taten nicht das, was der ägyptische König ihnen gesagt hatte. Sie liessen auch die männlichen Kinder am Leben. Da bestellte der Pharao die Hebammen zu sich und herrschte sie an: ‹Warum macht ihr so etwas, lasst die Jungen leben?› Die Hebammen antworteten ihm: ‹Die Hebräerinnen sind anders als die ägyptischen Frauen. Sie sind stark und gesund. Bevor noch eine Hebamme zu ihnen kommt, haben sie schon geboren›, sagten sie» (Ex 15-17, Bibel in gerechter Sprache)

Die beiden Hebammen Schifra und Pua widerstehen dem Pharao und retten die neugeborenen Buben der HebräerInnen mit List und fast tollkühnem Mut. Sie mögen stehen für alle tapferen Frauen und Männer, die sich heute für Leben, Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden einsetzen und könnten uns inspirieren.

Esther Gisler, Theologin lic. sc. rel.